To cop out of COP – Teil 1

(to cop out = ugs. einen Rückzieher machen, aussteigen [aus e. Projekt])

Nun sind ein paar Tage seit der letzten Weltklimakonferenz, abgekürzt COP, wieder vergangen und neues Unheil braut sich am Himmel über Nahost zusammen. Dennoch möchte ich zum neuen Jahrzehnt ein paar Zeilen über die letzte COP schreiben und damit auch zum Stand des Themas insgesamt. Ab heute schreibe ich nicht mehr Klimawandel, sondern Erderwärmung, Erderhitzung oder Klimakrise. Nicht weil ich Übertreibungen mag, sondern weil der Klimawandel schon vollzogen ist. Das Klima hat sich schon gewandelt. Außerdem möchte ich nicht zu denen gehören, denen man später nachsagt, sie hätten die Brisanz der Lage nicht klar dargestellt.

Die COP 2019 in Madrid

Sie war eine Riesenenttäuschung für alle, denen die Dramatik der Lage bewusst ist. Punkt. Damit könnte ich es belassen.

Wer möchte kann noch ein bisschen mehr lesen. Ich gehe im Folgenden kurz darauf ein, warum sie eine Enttäuschung war, was die Verhandlungsknackpunkte waren und was der heute journal-Sprecher Anfang Januar falsch beschrieben hat.

Warum eine Riesenenttäuschung?

Die COP ist die Konferenz, bei der sich alle Länder dieser Welt mit ihren Delegationen treffen, um über Maßnahmen zum Klimaschutz zu beraten und neue Beschlüsse zu treffen. COP steht dabei für conference of the parties, das heißt Konferenz der Parteien, in dem Fall der Länder, die entschieden haben gegen den Klimawandel etwas zu tun. Gemäß den Statuten treffen sich die Delegationen einmal im Jahr in wechselnden Orten. Wenn sich auf der jährlichen COP keine Verhandlungserfolge einstellen, dann müssen andere Wege gefunden werden. Etwa die Wege von bi- und multilateralen Gesprächen zwischen den Nationen. Aber es gibt dann kein einheitliches weltweites Vorgehen und das ist eine Katastrophe angesichts der Klimakrise.

Die COP25 war eine Riesenenttäuschung, weil nichts erreicht worden ist. Manche sagen, das Gute war, dass das Paris Abkommen nicht verwässert wurde. Okay, wenn man schon als Fortschritt bezeichnet, wenn das Schlimmstes verhindert werden konnte. Das wirft allein schon ein Schlaglicht auf die Klimadiplomatie.

Was waren die Knackpunkte?

Die Knackpunkte sind bei jeder COP andere. Das ist klar, denn die Verhandlungen bewegen sich weiter. Jedes Jahr verhandeln die Länder daher über andere Entscheidungen, Regeln oder Handlungsoptionen. Zur Debatte standen dieses Mal unter anderem Regeln über den internationalen Kohlenstoffmarkt, über Entschädigungen für Länder im Süden und über die Verschärfung der nationalen Klimaziele.

Der internationale Kohlenstoffmarkt (Stichwort: Emissionshandel)

Bei dieser Frage prallen Weltanschauungen vor allem über die Wirtschaftsordnungen aufeinander. Es geht meist um die Frage, ob man alles dem freien Markt überlassen will (Neoliberale im Sinne der Chicago School of Economics) oder mit Regeln den Markt regulieren will. Der Kohlenstoffmarkt, ist ein Markt auf dem international handelbare Kohlenstoffrechte, gehandelt, also gekauft und verkauft werden. Kohlenstoffrechte, auch Emissionszertifikate genannt, sind Lizenzen, um Kohlenstoffdioxid auszustoßen.

Die Neoliberalen etwa vertreten in den Regierungen der USA, Kanadas oder Australiens sagen, wir wollen das Recht, CO2 auszustoßen, so handeln können, als wäre es ein Gut wie jedes andere. Das hieße, es frei nach Angebot und Nachfrage zu kaufen und zu verkaufen. Die Umweltverbände sagen, dieser Handel muss mit starken Regeln kontrolliert werden, sonst nützt er dem Klimaschutz nichts. Dabei geht es vor allem darum, dass schon viel zu viele Zertifikate auf dem Markt handelbar sind und daher den Preis verwässern. Knappheit verteuert ein Gut, Überfluss verbilligt es. Ein zu geringer Preis bringt nichts für den Klimaschutz. Erwartungsgemäß gab es hier keine Fortschritte.

Entschädigungen für Länder im Süden (Stichwort: Verlust und Schaden)

Die Länder im Süden etwa in Südamerika, Südafrika oder die kleinen Inselstaaten im Pazifik haben weder heute noch hatten sie in der Vergangenheit einen hohen CO2-Ausstoß. Aber sie leiden heute schon viel stärker unter den Folgen der Erderwämrung. Sie verlieren Landmasse wegen des steigenden Meeresspiegels oder sie leiden stärker unter veränderten Wettermustern, die Dürren, Hitzeperioden oder Starkregen hervorbringen. Zu Recht verlangen sie Geld von den Ländern im Norden, um ihre Schäden durch die eingetretene Klimaänderung zu beheben. Aber das lehnen die reichen Länder ab.

Aber Länder im Norden der Erdhalbkugel stoßen viel Kohlendioxid, CO2, aus. Sie sind schon früh industrialisiert worden und/oder haben hohe Wachstumsraten ihrer Wirtschaft und/oder einen durchschnittlich hohen Lebensstandard. Jede dieser Faktoren begünstigt einen hohen Energieverbrauch und damit einen hohen CO2-Ausstoß. Hohe Bevölkerungszahlen allein sind noch nicht so entscheidend. Es sei denn sie fallen zusammen mit den zuvor genannten Kriterien wie etwa in China. Deswegen hat China heute den höchsten CO2-Ausstoß in der Welt gefolgt von den USA.

Verschärfung der nationalen Klimaziele (Stichwort: Ambitionssteigerung)

Im Pariser Abkommen ist festgeschrieben, dass die Länder ihre Klimaziele nachbessern müssen. Nachbessern heißt allgemein, dass die nationalen Ziele zur Reduktion des CO2-Ausstoßes verschärft werden. Beispiel: Deutschland ist als EU-Staat eingebunden in das europäische Ziel, das von der EU-Kommission an das UN-Sekretariat gemeldet wird. Die Klimaziele der Nationen im Pariser Abkommen sind in der Regel auf das Jahr 2030 bezogen. Das 2030-Klimaziel der EU liegt bei einer Reduktion von 40% der Treibhausgase gegenüber 1990. Alle anderen Länder, die das Paris Abkommen ratifiziert, also anerkannt und in die nationalen Gesetze überführt haben, müssen ihre Ziele verschärfen.

Hierbei hängt es davon ab, dass einige vorpreschen und sagen wir machen das. Dann ziehen andere nach. Aber diese Vorreiter waren nicht in Sicht. Spätestens bis zur nächsten COP 2020 in Glasgow müssen die neuen Reduktionsziele aber verkündet werden. Es fehlt jetzt noch eine Einschätzung darüber, warum es keine Fortschritte bei diesen Knackpunkten gab. Das liefere ich in einem weiteren Text nach.

Eine irreführende Meldung im heute journal

In der heute journal Sendung vom 6.1.2020 las der Sprecher Heinz Wolf folgende Meldung vor: „Die CO2-Emissionen in Deutschland sind 2019 deutlich zurückgegangen. … Das Ziel der Bundesregierung war 40 % weniger CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990. 2019 wurde das mit 35% knapp verfehlt.“ Es geht hier um die Bewertung „knapp verfehlt“. Dies deutet an, dass das Ziel fast erreicht worden wäre und damit Deutschland im Großen und Ganzen noch auf Kurs ist. Dann ist doch mit dem Klimaschutz in Deutschland alles in Ordnung! Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Ausgelöst durch ein falsch gesetztes „knapp verfehlt“!

Deutschland hat im Jahre 2007 sein Klimaziel für 2020 formuliert. Das Ziel ist 13 Jahre alt! Es lautet: 40% Reduktion der Treibhausgase im Vergleich zu 1990. Im Jahre 2012 lag Deutschland bereits bei 22% Reduktion. Wären von da an pro Jahr kontinuierlich zwei bis drei Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen worden, wären wir in 2020 bei 40 Prozent gelandet. Aber weit gefehlt: in den Jahren von 2014 bis 2017 stiegen die Emissionen oder sanken nur minimal. Erst 2018 sanken sie wieder und ja auch im Jahr 2019 um gerade mal 2 Prozent. Mit Verlaub – das ist nichts! Das ist eine Blamage. Diese Zahlen jetzt als „knapp verfehlt“ zu bezeichnen, ist völlig daneben. Um von jetzt 35% auf noch 40% zu kommen, bedarf es Riesenanstrengungen etwa den weiteren Ausbau der Erneuerbaren.

Sterbehilfe für das Weltklima?

Berlin. 25.9.2019 Der neue IPCC-Report zum Zustand der Ozeane und das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung. Wie geht das zusammen?

Ein Sturm der Entrüstung ging auf das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung nieder, nachdem es am Black Carbon Friday, am 20.September 2019 vom sogenannten Klimakabinett beschlossen wurde. Einer der führenden deutschen Klimaforscher, Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel hatte das Eckpunktepapier zum Klimaschutzprogramm sogar „Sterbehilfe für das Weltklima“ genannt.

Präsentation des IPCC-Berichts zu Ozeanen und Eisgebieten am 25.9.2019 mit Anja Karliczek, Bundesforschungsministerin und Svenja Schulze, Bundesumweltministerin für Umwelt

Nur zwei Tage später sitzen die Bundesministerinnen Anja Karliczek und Svenja Schulze im Pressezentrum des Bundesministeriums für Forschung und Bildung und erklären den Pressevertretern die Kernaussagen des neuen Sonderberichts des Weltklimarat, IPCC über den Ozean und die Eisgebiete.

Da muss man sich schon die Augen reiben, um die Irrationalität der Situation zu begreifen. Auf dem Podium sitzen zwei Frauen, die sehr betroffen sind, über das, was heute vom Weltklimarat verkündet wurde, über die Gefahren, die vom weiter sich zuspitzenden Klimawandel ausgehen. Doch haben sie ein Klimaschutzprogramm mitbeschlossen, das nach Aussagen der Klimawissenschaftler ein Rohrkrepierer ist: Ein Programm mit dem Deutschland zum wiederholten Male seine Klimaschutzziele verfehlen wird.

Aber erst einmal zu dem heute von den Ministerinnen vorgestellten Bericht des Weltklimarats zu Ozean und Eis. So heißt es dort unter anderem: Der Weltklimarat IPCC betont die Dringlichkeit für rechtzeitige, ambitionierte und koordinierte Maßnahmen mit Erfolgskontrolle zum Schutz des Klimas.

Wer die IPCC-Berichte allerdings aus den letzten Jahren kennt, weiß, dass das ein Satz ist, der genauso in den Berichten aus den Jahren 2013 und 2014 hätte stehen können. Die Dringlichkeit hat sich keineswegs verändert. Es war vor fünf, sechs oder zehn Jahren genauso dringlich wie heute, endlich zu handeln. Nur damals saßen auf den Bundesministerplätzen nicht die Frauen Karliczek und Schulze sondern andere.

Die Betroffenheit der beiden Ministerinnen angesichts der Aussagen des Klimaberichts ist deutlich. Anja Karliczek sagt: „Der Anstieg des Meeresspiegels ist stärker als bisher angenommen. Ohne Klimaschutz könnte in Europa der Anstieg bis zum Jahr 2100 bei 84 Zentimeter liegen. Davon wären 13 Millionen Europäer direkt betroffen.“ Der Klimawandel bedroht also nicht mehr nur die kleinen Inselstaaten im Pazifik, sondern die Niederlande, die Küsten Dänemarks, Deutschlands und Polens.  Alles in allem so schließt Karliczek, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die heute Gastgeberin ist, sei der Klimawandel um Merkel zu zitieren „eine Menschheitsherausforderung“.

Dann spricht die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Ihr Ressort ist dasjenige vom dem der große Wurf zum Klimaschutz erwartet wurde. Svenja Schulze sagt: „Das Bewusstsein ist da, dass wir ehrgeiziger werden müssen.“ Nächster Satz: „Wir sind in der Pflicht als reiche Industrienation im Klimaschutz voranzugehen und Vorbild zu sein.“ Deswegen hätten sie auch am 20.9.2019 das Eckpunktepapier zum Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen. Hier spricht eine Bundesministerin als hätte sie gerade ein Programm vorgelegt, dass der dringlichen, wenn nicht alarmierenden Situation durch den Klimawandel gerecht werde. Aber das sehen die meisten Wissenschaftler ganz anders.

Dann schauen wir uns das Klimapaket genauer an. Kernstück ist die Einführung eines Preises für den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid für die Bereiche Wärme und Verkehr. Denn die waren bisher preislich nicht erfasst, die großen Energieunternehmen und die energieintensive Industrie schon – durch den europäischen Zertifikatehandel. Ein Preis auf den Ausstoß des Treibhausgases CO2 macht generell Sinn. Eine Handlung, die Schäden für die Allgemeinheit verursacht, muss, wenn nicht verboten, so doch wenigstens mit einem hohen Preis versehen werden, damit der Anreiz besteht, die Kosten und damit diese Handlung zu vermeiden. Der Preis für den Ausstoß von einer Tonne CO2 im Bereich Verkehr und Wärme soll ab dem Jahr 2021 mit 10 Euro eingeführt werden. Der Preis wird mit einem Zertifikatehandel eingeführt und die Preise sind für die ersten fünf Jahre schon festgesetzt. Vom ersten Jahr 2021 steigt der Preis dann pro Jahr um jeweils 5 Euro an, um dann bei 35 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2025 zu landen. Ab dem Jahr 2026 werden die Zertifikate dann frei im System des Emissionshandels gehandelt. Das heißt, ab dann gibt es keinen Festpreis mehr, sondern nur noch einen Mindestpreis (35 Euro pro Tonne CO2) und einen Höchstpreis (60 Euro pro Tonne CO2). Wo der Preis sich einpendelt soll Angebot und Nachfrage entscheiden.  

Die führenden Klimaforscher in Deutschland haben dieses Eckpunktepapier heftig kritisiert. So erklärte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Ottmar Edenhofer am gleichen Tag: „Mit dieser Entscheidung wird die Bundesregierung die selbstgesteckten Klima-Ziele für 2030 nicht erreichen.“ Das Klimapaket entfalte nicht die notwenige Lenkungswirkung für die Wirtschaft und die Bürger, um wirklich zu einer Reduktion der Emissionen, der Ausstöße von Kohlenstoffdioxid zu kommen. Grund: Der Einstiegspreis von 35 Euro in einem nationalen Zertifikatehandel sei viel zu niedrig. Notwendig sei ein Preis von 50 Euro pro Tonne, der in den nächsten fünf Jahren auf 130 Euro ansteigen müsse.

Der Umstand, dass von höheren Preisen auf Diesel, Benzin und Heizöl vor allem einkommensschwache Haushalte betroffen sind, ist allgemein anerkannt. Daher hat die Bundesregierung flankierend dazu Maßnahmen beschlossen, um die Mehrkosten für die Bürger auszugleichen – wenn sie sich denn umweltverträglich verhalten. So soll Bahn fahren günstiger werden, fliegen teurer, Pendler bekommen eine höhere Pendlerpauschale und für den Kauf eines Elektroautos gibt es eine Prämie.

Sozialverträglicher Klimaschutz ist auch das, was die Wissenschaftler in den Forschungsinstituten fordern und dazu Vorschläge präsentiert haben. Ein Vorschlag war etwa eine Klimaprämie von 100 Euro pro Kopf und Jahr sowie eine Senkung der Stromsteuer. Einiges hat die Bundesregierung übernommen, etwa die Senkung der Stromkosten durch das Abschmelzen der EEG-Umlage. Allerdings plädierten die Wissenschaftler in einer Studie der Agora Energiewende mit dem Ökoinstitut Freiburg und der Freien Universität Berlin dafür, den Preis über eine Steuer und nicht über einen Zertifikatehandel einzuführen. Ihre Argumente: Ein Zertifikatehandel sei zu bürokratisch, es müssten viele zusätzliche Überwachungsregeln geschaffen und Daten neu erhoben werden. Eine CO2-Steuer sei hingegen schneller und unkomplizierter umzusetzen, etwa noch zum nächsten Jahr.

Wenn man bedenkt, dass jedes Jahr zählt und die Dringlichkeit der Maßnahmen immer wieder betont wird, sprechen die Argumente der Wissenschaftler eher für eine CO2-Steuer statt für einen Zertifikatehandel. Auf die Frage an Svenja Schulze was denn nun den Ausschlag für einen Zertifikatehandel gegeben habe, reagierte sie zunächst etwas ungehalten. Sie verstehe überhaupt nicht diese Aufregung um CO2-Steuer versus Zertifikatehandel. Beide seien wirkungsgleich. Das Wichtige sei schließlich, dass der Ausstoß von CO2 teurer wird und das wird er so oder so. Außerdem habe man auch an eine europaweite Angleichung denken müssen.

Wieso aber sagen die Wissenschaftler, dass eine Steuer kurzfristig effizienter ist? Wieso sagen sie, dass der Einstiegspreis von 10 bzw. 35 Euro viel zu niedrig sei, um eine Wirkung hin zu weniger Emissionen zu erzielen? Wenn wie die Bundesumweltministerin sagt, beide doch wirkungsgleich seien? Hat das Bundesumweltministerium die Argumente der Wissenschaftler vor dem Beschluss ausreichend geprüft? Wissen die Schüler von FridaysForFuture mehr als die zuständigen Ministerien, wenn die Schüler eine CO2-Steuer fordern und einen Einstiegspreis von 180 Euro pro Tonne CO2?

Bereits 2015 auf der Pariser Klimakonferenz erklärte der Generalsekretär der OECD, einer Organisation, die die Industriestaaten vertritt und berät, José Angel Gurria, dass eine CO2-Steuer einem Zertifikatehandel vorzuziehen sei. Einen Zertifikatehandel haben die europäischen Länder für die Bereiche Energie und energieintensive Industrie 2005 eingeführt, das heißt diesen Zertifikatehandel gibt es seit fast 15 Jahren. Seine Wirkung ist gelinde gesagt bescheiden. Zeitweise fiel der Preis für eine Tonne CO2 auf unter 6 Euro. Damit wird weder eine Lenkungswirkung noch sonst irgendein Signal in die Gesellschaft gesendet, um CO2-Ausstöße zu reduzieren. Tatsache ist auch, dass die Zertifikate nicht ausreichten, damit Deutschland seine Klimaziele für 2020 erreichen konnte – und das lag nicht nur am Verkehr, sondern auch an der zu geringen Emissionsreduzierung in den Bereichen Energie und Industrie, die schon vom europäischen Zertifikatesystem erfasst sind.

Die Antwort auf die Frage, was denn nun den Ausschlag für den Zertifikatehandel und gegen eine Steuerlösung gegeben habe, blieb die Bundesministerin Schulze schuldig. Ich zumindest habe die Antwort nicht verstanden. Wie denn auch – wenn sie sagt, es mache doch gar keinen Unterschied!

Den Satz von Mojib Latif, das Klimaschutzprogramm sei „die Sterbehilfe für das Weltklima“ hat sie aber heftig kritisiert. Den empfand sie als ungerecht. Es gäbe doch jetzt zum ersten Mal überhaupt einen CO2-Preis für die Bereiche Verkehr und Wärme, das müsse man doch auch einmal würdigen. Aber was ist, wenn die Wissenschaftler auch hier Recht behielten mit ihrer Kritik? Wie sie schon bei den Negativprognosen zum Klimawandel immer wieder bestätigt ja sogar von der Realität noch in der Dramatik der Ereignisse überboten werden! Was ist, wenn das Klimapaket völlig wirkungslos oder nur ein zahnloser Tiger ist?

Wie war das dann mit der Dringlichkeit und dem Satz, Deutschland müsse ehrgeiziger werden, Vorbild sein und vorangehen?

Bei Aufwachen – live mit Tilo Jung

Aufzeichnung der Podcast Morning Sendung aus Dresden am Tag der Verkündung des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung.

Gäste der Sendung waren neben mir als Journalistin aus der Brandenburger Lausitz die Jungpolitikerinnen Lucie Hammecke (Grüne Sachsen) und Sofie Koch (SPD Sachsen). Moderiert haben neben Tilo Jung auch Stefan Schulz und Hans Jessen.

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Pursuit of Happiness Today

In den Zeiten des Klimawandels ist es an der Zeit, „Glück“ neu zu definieren. Das Motto des 20. Jahrhunderts in der von der Aufklärung beeinflussten westlichen Welt war etwa wie folg: „Verfolge deine individuellen Ziele, um glücklich zu sein.“

Heute sind immer mehr Menschen finanziell und von der freiheitlichen Ordnung ihres Landes ausgehend in der Lage, sich auf den Weg zu ihrem eigenen Glück zu machen. Das ist gut. Aber liegt das eigene Glück heute weiterhin in dem Sinne darin, sich selbst die wichtigsten Wünsche zu erfüllen und seinen eigenen Zielen maximale Priorität zu verschaffen?

Wenn das so wäre, denn würde der Lebensstandard Europas, Kanadas, Nordamerikas, Japans nun auf die Schwellenländern wie China, Brasilien, Russland, Indonesien übertragen werden. Nach den Erfahrungen der letzten 50 Jahre würde das bedeuten: mehr Reisen, mehr Rindfleisch, mehr materielle Produkte pro Haushalt und mehr Fläche.

Alle diese Punkte verschärfen die Umweltprobleme.

Wie wäre es, wenn wir ein kollektives Ziel auch zu unserem eigenen Glücksziel erklären würden? Das Ziel die Erderwärmung auf 1,5°C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, würde allen Erdbewohnern gleichsam nutzen.

Würde es uns glücklich machen, wenn Inseln nicht untergehen? Wenn Küstenstädte nicht umziehen müssten? Wenn Menschen nicht ihre Heimat verlassen müssten, weil sie dort keine Ernte mehr einfahren können oder weil Erdrutsche und Wetterextreme das Leben dort unmöglich machen?

Würde es uns glücklich machen, wenn wir durch eine gemeinsame Anstrengung, die Vielfalt des Lebens erhalten? Wenn wir die Lebensräume von Tieren und Pflanzen erhalten, auch wenn wir sie nicht essen können oder wollen? Auch wenn wir dadurch Fläche für Produktion und Anbau verlieren?

The pursuit of limiting global warming to 1,5°C equals the pursuit of happiness for human kind. Die Verfolgung des Ziels die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen wäre gleichgesetzt mit dem Ziel der Suche nach dem Glück für die Menschheit.

 

 

 

Ein Rabbi für Riga

Pessach im April 2019 sei seine größte Herausforderung, sagt Ilya Krumer. Seit letzten Juni betreut er die orthodoxe Gemeinde in Riga in der Peitav-Shul Synagoge.

Jüdisches Leben in Lettland konzentriert sich auf die Hauptstadt Riga. Nach der letzten Volkszählung gaben etwa 7000 Menschen in Lettland an, jüdischen Glaubens zu sein. In der einzigen Synagoge Rigas, die die Zerstörung in der Naziherrschaft überdauert hat, die Peitav-Shul Synagoge, kommen heute orthodoxe, liberale und Reformjuden zu den Feiertagen zusammen.

Peitav-Shul Synagoge in Riga

Rabbi Ilya Krumer ist eingesprungen, weil sein Vorgänger Rabbi Kalev Krelin aufgrund der angespannten Finanzsituation der Gemeinde nur noch in Teilzeit arbeite konnte. Krelin arbeite nun in Riga und in Moskau gleichzeitig. Da klaffte dann plötzlich eine Lücke für die Betreuung der jüdischen Gemeinde in Riga und so sah sich Ilya Krumer in der Pflicht, obwohl er lieber noch etwas damit gewartet hätte, mehr Zeit gebraucht hätte, um sich auf diese Aufgabe vorzubereiten, erzählt er. 20 bis 40 Familien zählten heute zur orthodoxen Gemeinde Rigas, so Rabbi Ilya Krumer. Sie sei wichtig, um den Juden in Lettland Orientierung zu geben. Die meisten Juden hätten aufgrund der Ansprüche des modernen Lebens keine Zeit und keine Motivation mehr, die jüdische Tradition zu leben, sagt er. Aber für die wenigen, die diesen Weg wählten, will er da sein.

„Es gibt viele Spenden und finanzielle Unterstützung für die Juden, die Balei Tschuwa machen, die zur Thora zurückkehren wollen. Aber wenn sie sich dann dafür entscheiden, dann kümmert sich keiner mehr um sie,“ sagt Krumer. Das sei ein großes Problem. „Um die Thora zu studieren, kannst du dich nicht in eine Ecke in deinem Haus verkriechen. Du brauchst einen Platz, um die Thora zu studieren, einen Menschen mit dem du zusammen studierst und eine Infrastruktur, die einen Alltag nach jüdischen Regeln ermöglicht“, zählt Krumer auf. Er unterrichtet im Moment fünf bis acht Stunden pro Tag zwischen 15-20 Thorastudenten, im Alter von 30 bis 50 Jahre alt sind. Es gibt auch Jüngere, aber die haben weniger Zeit dafür. Balei Tschuwa ist eine Bewegung unter den Juden in aller Welt. Sie heißt etwa „Meister des rechten Weges“ und steht dafür, wenn sich säkulare Juden wieder der Thora, der „Bibel“ der Juden zuwenden-Sie kehren zurück zu den traditionellen Sitten und Riten, studieren die Thora und richten ihren Alltag nach deren Geboten aus.

Die meisten Juden in Riga stammen aus der Zeit, als Lettland zu der Sowjetunion gehörte, das war von 1945 – 1991 der Fall. Damals kamen viel aus der Sowjetunion nach Lettland, weil sie hier ihr Judentum etwas freier leben konnten. Die Familie von Rabbi Elya Krumer stammt aus Lettland. Seine Großeltern waren während der Nazizeit nach Usbekistan und Kasachstan geflohen und kehrten 1945 wieder zurück nach Lettland. Die jüdische Gemeinschaft in Lettland besteht fast ausschließlich aus Juden, die Russisch und nicht ursprünglich Lettisch sprechen. Auch seine Familie hätte entweder Jiddisch oder Russisch gesprochen, sagt Krumer. „Es gibt diese Gruppe von Lettisch sprechenden Juden in Lettland nicht.“

Von den rund 70.000 Juden, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Lettland lebten, sind bis auf ein paar Tausend alle ermordet worden. Die höchste Zahl von Juden der Nachkriegszeit hatte Lettland in den 1980er Jahren mit rund 30.000 Menschen. Doch viele sind nach Israel oder Westeuropa ausgewandert, was den Gemeinden schwer zu schaffen machte. Aber Krumer hat dafür Verständnis. „Es gab dieses Fenster der Gelegenheit und da haben viele zugegriffen. Es war Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre ja nicht klar, wie es mit Lettlands Unabhängigkeit und dem jüdischen Leben hier weitergeht.“

Seit 1991 ist Lettland ein eigener Staat, nachdem es 1918 erstmalig seine Unabhängigkeit ausgerufen hat. Die Zukunft der Juden in Lettland sei trotzdem nicht rosig. Nicht wegen einer Bedrohung von außen, sondern weil sie zahlenmäßig so wenige sind, meint der Rabbi aus Riga. Antisemitische Übergriffe habe es in den letzten Jahren nicht gegeben, sagt er. Das liege auch daran, weil es so gut wie keine muslimischen Einwanderer gebe. Und die Letten? Sie seien zwar von Haus aus xenophobisch, aber die Vertreter der lettischen Regierung bemühten sich um einen guten Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft.

Heute gibt es in Riga drei jüdische Kindergärten und zwei jüdische Schulen. Zwei Kindergärten und eine Schule betreiben die Lubawitscher Chassiden. „Sie haben viel Einfluss und ziehen mehr säkulare Juden an als wir“, sagt Krumer. Er sieht diesen Einfluss kritisch, denn innerhalb der jüdischen Gemeinschaft konkurriert die orthodoxe Gemeinde, der er vorsteht, mit der Chabad Gemeinde, wie die Lubawitscher Chassiden auch heißen, um Anhänger. Die Chabad Gemeinde ist eine orthodoxe Gruppierung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, die weltweit ihre Anhänger haben. Die Chabad Gemeinde habe gute finanzielle Beziehungen ins Ausland, sagt Krumel. „Sie haben, was das Budget betrifft, 95 Prozent und wir 5 Prozent.“ Letzten Endes könne er nicht mehr tun, als eine Alternative zu den Chassidim anzubieten. Er möchte den Juden ermöglichen, nach der Thora zu leben, „so wie es unsere Vorfahren vor 3000 Jahren gemacht haben.“ Dafür arbeitet er im Moment für drei, wie er sagt, und könne doch nicht alle Aufgaben bewältigen. Doch seine größte Herausforderung liege noch vor ihm. „Das ist mein erstes Pessach-Fest als Rabbi unserer Gemeinde im April 2019.“ Für eine Bilanz sei es daher noch zu früh: „Warten wir ab, bis ich mein erstes Jahr überstanden habe.“

 

Morgendämmerung: Wandelt euch in der Lausitz!

Reaktion auf einen Leser aus der Lausitz, der an die dort erscheinende Tageszeitung schrieb, dass der Klimawandel nichts mit dem Menschen zu tun hat, sondern nur auf den Zyklus der Sonnenaktivität zurückzuführen ist. 

Das ist ungefähr so, als würde heute jemand zu einem Seemann sagen: „Aber segele nicht bis zum Rand, sonst kippst du runter samt Schiff – von der Erdscheibe“. Man würde denjenigen für verrückt halten oder denken, der hat sich einen Witz erlaubt. Doch das ist genau das gleiche, wie in der Ausgabe vom 20.12.2018 ein Leser an die Lausitzer Rundschau schrieb, der immer noch glaubt, die Wissenschaft vom menschengemachten (anthropogenen) Klimawandel sei eine Theorie, die sich mit Sonnenfleckenaktivität gleich wieder widerlegen würde. Der Mann lebt noch in der Zeit von vor 100 Jahren. Die Zeit, als Menschen glaubten, die Erde sei eine Scheibe ist zwar schon  länger vorbei, aber die beiden Aussagen sind vergleichbar: die Erde ist eine Scheibe und der KLimawandel wird duch Sonnenfleckenaktivität ausgelöst. Denn beide Aussagen sind längst überholt.

Seit Arrhenius Ende des 19. Jahrhunderts nachwies, dass Kohlen(stoff)dioxid, auch CO2 genannt, die Atmosphäre aufheizt, ist klar, dass je mehr davon in der Luft ist, desto wärmer es wird. Seit dann Keeling in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts die direkte Messung der CO2 -Werte aus der Luft verbesserte, war messbar, dass der Anstieg der CO2 -Werte in der Luft mit dem Wirtschaftswachstum der Industriegesellschaften einhergeht. Seit dann etwas später mittels chemischer Analyse (Isotopenmessung) zweifelsfrei die Quelle des zusätzlichen CO2 in der Luft geklärt wurde, war nachgewiesen, dass dieses CO2 aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas stammt. Soweit zum Schulwissen 7. – 9. Klasse.

Aber es gibt doch immer noch Individuen, die meinen, äußern zu müssen, das sei alles Schwindel, denn die Sonne sei nicht berücksichtigt. Natürlich ist die Sonnenaktivität in den Aussagen der Wissenschaftsgemeinde zum Klimawandel berücksichtigt und nicht nur der elfjährige Sonnenaktivitätszyklus, sondern noch die vielen anderen Sonnenzyklen, die mit diesem überlappen.

Kurzum: Die Erde ist eine Kugel, das wissen mittlerweile alle. Der Klimawandel wird sich weiter verschärfen und ist mit etwa 70 Prozent vom Menschen verursacht. Das weiß zumindest einer aus Vetschau noch nicht. Tatsächlich gehören 30 Prozent in das Reich der Natur, wo wir noch nicht Einfluss nehmen können z.B. Erdbahnparameter, geothermische Vorgänge im Erdinnern oder eben die zyklische Aktivität der Sonne.

Noch einmal, weil es noch nicht alle wissen: Der Klimawandel findet statt, gefährdet das Überleben unserer nachfolgenden Generationen und wir können den menschengemachten Anteil daran stoppen oder abbremsen, in dem wir den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid stoppen oder abbremsen.

Ich werde jetzt nicht das Buch empfehlen, das ich vor drei Jahren dazu veröffentlicht habe, denn dann heißt es, „die will nur ihr Buch verkaufen“. Es gibt Duzende anderer Bücher, die in unterschiedlichen Lernniveaus den Klimawandel nachzeichnen. Aber noch etwas für die zum Schluss, die mehr wissen wollen: Der Klimawandel ist Ausdruck dafür, dass wir, die Menschheit, zu viel Energie verbrauchen. Das ist das Etikett unserer Zeit: Energieverschwendung.

Antisemitismus ist nicht das Kernproblem der Juden

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Das deutsche Novemberpogrom jährt sich zum 80. Mal. Daraus leitet sich die entscheidende Frage ab, die sich seit rund 200 Jahren immer wieder stellt: Wie bekämpft man Antisemitismus? Antworten gaben jetzt Experten aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft auf der Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft e.V. „Den Opfern verpflichtet – Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart“

In der Nacht vom 9. auf den 10. November brannten rund 1400 im Deutschen Reich (Deutschland, Österreich) befindliche Synagogen, wurden geplündert oder geschändet. Mehrere hundert Juden wurden in der Nacht ermordet oder starben in den kommenden Wochen und Monaten an den Folgen ihrer Misshandlung oder Verschleppung in die frühen Arbeits- und Konzentrationslager. Viele zigtausend Geschäfte jüdischer Besitzer wurden ebenfalls zerstört und geplündert. Augenzeugen dieser Nacht beschrieben wie Gestapo- und SA-Männer und andere, die sich ihnen anschlossen, mit Eisenstangen die Schaufenster der Geschäfte einschlugen. Es waren so viele, in manchen Städten jedes fünfte Geschäft, dass das Zerborsten von Glas und das Klirren der Bruchstücke, wenn sie auf den Boden aufschlugen, wie ein helles Munitionsfeuer in den Straßen und Gassen der Städte und Dörfer widerhallte. Ein Menetekel.

Die Wissenschaft ist sich heute einig, dass dieser Tag oder vielmehr diese Nacht einen Wendepunkt markiert. „Die erste große physische Attacke gegen Juden in Deutschland“ in der Nazizeit sei das gewesen, begleitet von einem starken Wegducken, Wegschauen der Bevölkerung, resümiert die Historikerin Dr. Cornelia Wilhelm von der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität. Danach setzte eine Massenflucht der Juden aus Deutschland ein. Der aktuelle Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, interpretiert das Pogrom aus heutiger Sicht. „Es war der finale Test der Nazis, wie weit sie gegenüber den Juden gehen können“, ohne dass die Gesellschaft protestiert. Das hat sie nicht. Daher fiel der Test „für die Nazis befriedigend aus“. Sie wussten nun, sie konnten weitermachen und mehr noch, sie konnte noch viel weitergehen.

Was heute noch überrascht ist der geringe Widerstand aus der Bevölkerung, wie es Dr. Bernd Faulenbach, der Vorsitzende des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. formuliert. „Aber das, was an Widerstand da war, das möchten wir heute stärker benennen“.

Die Helden von damals können uns den Weg weisen

Genau diese Strategie verfolgt auch die Bundesregierung. Für sie sprach der seit April benannte Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein. „Wir müssen uns dafür wappnen, wenn es nötig ist, Zivilcourage zu zeigen.“ Den Weg dahin „weisen uns heute die mutigen Handlungen Einzelner“. Viel zu lange galten die Widerstandskämpfer in unserem Land noch als Vaterlandsverräter, doch „es ist endlich an der Zeit, diesen Personen ihren gebührenden Platz zuzuweisen.“ Sie können uns heute Vorbild sein, schlägt Dr. Klein vor.

Ein Vorbild, heute würde man Held sagen, in dieser Pogromnacht war der damalige Leiter des 16. Polizeireviers in Berlin-Mitte, Wilhelm Krützfeld. Der damals 53-jährige Polizeioberleutnant stellte sich mit seinen Leuten den Brand legenden SA-Truppen entgegen. So konnten die Polizeibeamten die Zerstörung der Neuen Synagoge in der Oranienburgerstraße in Berlin verhindern. Sie ist heute als Synagoge mit ihrer golden verzierten Kuppel wieder ein Wahrzeichen für die Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland. „Andere Polizisten aus diesem Revier wie Willi Steuck und Otto Bellgardt halfen Juden in der NS-Zeit mit falschen Pässen und warnten sie vor Razzien“, betont Dr. Klein.

An Vorbildern lernen wie man Zivilcourage zeigt, das sei eine der Antworten auf den Antisemitismus unserer Zeit. Das dieser immer stärker wird, ist für alle Experten deutlich. Laut Kriminalstatistik wurden im letzten Jahr 1.500 antisemitische Straftaten begangen. Das ist ein Anstieg um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die überwiegende Mehrzahl der Taten sind rechtsmotiviert (94 Prozent). Felix Klein sagt, dass allein seit den wenigen Monaten seines Amtsantritts im Arpil die Hemmschwelle für Hasskommentare in Briefen und Blogs immer weiter gesunken sei. Als schlimme Vorzeichen nannte er auch die Demonstrationen in Chemnitz und in Dortmund in den vergangenen Wochen, wo Rechtsradikale auf offener Straße den Hitlergruß gezeigt hätten. Auch in Schulen würde das Wort Jude wieder häufig als Schimpfwort verwendet.

Einige der Redner sprachen sich daher für eine bessere Lehrerausbildung aus. Antisemitismus müsse schon in den Schulen bekämpft werden. Ja, sagten in der anschließenden Diskussion einige aus dem Publikum, aber wie? Denn die Lehrer seien heute schon an der Grenze ihrer Belastung und man könne ihnen nicht für alles in der Gesellschaft die Verantwortung aufbürden.

Die Flüchtlinge müssen sich unsere Geschichte aneignen.

Dafür sind die Immigranten nach Ansicht von Dr. Klein stärker in die Pflicht zu nehmen. Gerade für die Menschen, die als Flüchtlinge oftmals aus muslimisch geprägten Ländern zu uns gekommen sind, gelte, dass sie sich die Vergangenheit dieses Landes aneignen müssen. „Sie müssen die deutsche Geschichte kennen und die Lehren, die wir daraus gezogen haben.“ Die Lehren seien die uneingeschränkte Ablehnung von Rassismus und Antisemitismus. Den Respekt vor diesen Werten „sollten wir aktiv von den Flüchtlingen einfordern“, findet Dr. Klein.

Abraham Lehrer vom Zentralrat der Juden ergänzte, er sei überzeugt davon, dass wenn es heute gegen Moslems geht, dann gehe es morgen wieder gegen die Juden. Nach dieser Aussage sitzen wir alle in einem Boot, egal ob Juden, Muslime, Christen oder Konfessionslose. Wir verlieren alle das gleiche, wenn Gruppen von Menschen angefeindet oder verfolgt werden. Auch wer zuerst selbst andere anfeindet, wird bald selbst ein Verfolgter sein. Auch der Journalist Dr. Jacques Schuster von der Zeitung die Welt unterstrich, dass Antisemitismus nicht das Kernproblem der Juden sei, sondern Ausdruck eines gesamtdemokratischen Problems. Zu dem heutigen Judenhass geselle sich noch ein Hass auf das Parlament oder ein Hass auf Europa wie er von vielen Leserbriefen an der Redaktion berichten kann. Die prägnanteste Zusammenfassung lieferte schließlich wieder Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung: „Den Zustand der Gesellschaft kann man daran ablesen, wie es der jüdischen Gemeinschaft geht.“

Wie geht es der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, wendet sich die Moderation Andrea Thilo daraufhin an Abraham Lehrer vom Zentral der Juden, der prompt antwortet: „Nicht gut.“

 

 

Siemens-Chef Joe Kaesers mutige Entscheidung

Kommentar zu Herrn Kaeser Argument, nicht zu der Investorenkonferenz nach Saudi-Arabien zu fahren.

Joe Kaeser CEO of Siemens in Moscow 26 march 2014

Sie ist doch mit Abstand die mutigste Entscheidung der dreien zur Wahl stehenden, die Sie beschreiben. Denn Sie riskieren finanzielle Einbußen, verlorene Aufträge und Kritik aus ihren eigenen Reihen. Doch Sie gewinnen weit mehr Herr Kaeser, als Sie im Moment noch gar nicht ahnen. Unter anderem Glaubwürdigkeit, Eintreten für Werte wie Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit in seinen Positionen und zuletzt gewinnen Sie den Status eines Vorbildes. Alles genau das, was einem Konzern langfristig hilft und ihn bestehen lässt. Aber da langfristiges und verantwortungsvolles Denken und Handeln in der Wirtschaft, der Politik und auch von uns Bürgern häufig dem kurzfristigen, einseitigen Profit- und Statusstreben geopfert wird, ist diese Entscheidung von Ihnen die mutigste! Und Sie werden sehen auch für Siemens UND die Menschen in Saudi Arabien die beste. Weil sie ein Signal, eine Botschaft in die Welt sendet.

„Über die Moral packt man das nicht.“

Konferenz in Berlin „Warum wir nicht tun was wir für richtig halten – Über die Macht tradierten Denkens“
Denkwerk Zukunft – Stiftung kulturelle Erneuerung
1. + 2. Oktober 2016

Klimawandel ist ein Problem des kollektiven Handelns und somit ein Koordinierungsproblem. Das erklärte der US amerikanische Philosoph Thomas Pogge in seinem packenden Vortrag über die Hindernisse im Kampf gegen den Klimawandel. Daher kann man das auch nicht über die Moral lösen. Denn viele argumentierten so: ‚ich würde ja gerne etwas dagegen machen, aber die anderen machen das nicht im gleichen Maße mit. Dann verliere ich aber im globalen Wettbewerb.‘ So folgerte der Professor von der Eliteuniversität Yale, dass es nur eine Lösung gibt – eine politische: Die Bürger müssen auf die Politiker Druck ausüben, dass es schließlich zu einer internationalen Übereinkunft kommt und die auch umgesetzt wird.

Das war einer der besten Vorträge meiner Meinung nach. Denn er war auf den Punkt gebracht und in seiner Argumentation schlüssig. Der Reigen war bunt mit den folgenden Vorträgen und eine gute Abwechslung zwischen Sozialwissenschaftlern, Ökonomen, Biologen und Vertretern aus der Wirtschaft. Es war genau die Interdisziplinarität, das Über-den-eigenen-Teller-schauen, was die Klimadiskussion so dringend braucht.

Nachtrag:
„Zum Ende des Jahres 2016 hat das Denkwerk Zukunft seine Tätigkeit eingestellt. Seine Anliegen wurden jedoch durch die Stiftung kulturelle Erneuerung übernommen.“ Zitat Denkwerk Zukunft.

Weitere Informationen zur Stiftung kulturelle Erneuerung: http://www.kulturelleerneuerung.de/