Sterbehilfe für das Weltklima?

Berlin. 25.9.2019 Der neue IPCC-Report zum Zustand der Ozeane und das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung. Wie geht das zusammen?

Ein Sturm der Entrüstung ging auf das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung nieder, nachdem es am Black Carbon Friday, am 20.September 2019 vom sogenannten Klimakabinett beschlossen wurde. Einer der führenden deutschen Klimaforscher, Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel hatte das Eckpunktepapier zum Klimaschutzprogramm sogar „Sterbehilfe für das Weltklima“ genannt.

Präsentation des IPCC-Berichts zu Ozeanen und Eisgebieten am 25.9.2019 mit Anja Karliczek, Bundesforschungsministerin und Svenja Schulze, Bundesumweltministerin für Umwelt

Nur zwei Tage später sitzen die Bundesministerinnen Anja Karliczek und Svenja Schulze im Pressezentrum des Bundesministeriums für Forschung und Bildung und erklären den Pressevertretern die Kernaussagen des neuen Sonderberichts des Weltklimarat, IPCC über den Ozean und die Eisgebiete.

Da muss man sich schon die Augen reiben, um die Irrationalität der Situation zu begreifen. Auf dem Podium sitzen zwei Frauen, die sehr betroffen sind, über das, was heute vom Weltklimarat verkündet wurde, über die Gefahren, die vom weiter sich zuspitzenden Klimawandel ausgehen. Doch haben sie ein Klimaschutzprogramm mitbeschlossen, das nach Aussagen der Klimawissenschaftler ein Rohrkrepierer ist: Ein Programm mit dem Deutschland zum wiederholten Male seine Klimaschutzziele verfehlen wird.

Aber erst einmal zu dem heute von den Ministerinnen vorgestellten Bericht des Weltklimarats zu Ozean und Eis. So heißt es dort unter anderem: Der Weltklimarat IPCC betont die Dringlichkeit für rechtzeitige, ambitionierte und koordinierte Maßnahmen mit Erfolgskontrolle zum Schutz des Klimas.

Wer die IPCC-Berichte allerdings aus den letzten Jahren kennt, weiß, dass das ein Satz ist, der genauso in den Berichten aus den Jahren 2013 und 2014 hätte stehen können. Die Dringlichkeit hat sich keineswegs verändert. Es war vor fünf, sechs oder zehn Jahren genauso dringlich wie heute, endlich zu handeln. Nur damals saßen auf den Bundesministerplätzen nicht die Frauen Karliczek und Schulze sondern andere.

Die Betroffenheit der beiden Ministerinnen angesichts der Aussagen des Klimaberichts ist deutlich. Anja Karliczek sagt: „Der Anstieg des Meeresspiegels ist stärker als bisher angenommen. Ohne Klimaschutz könnte in Europa der Anstieg bis zum Jahr 2100 bei 84 Zentimeter liegen. Davon wären 13 Millionen Europäer direkt betroffen.“ Der Klimawandel bedroht also nicht mehr nur die kleinen Inselstaaten im Pazifik, sondern die Niederlande, die Küsten Dänemarks, Deutschlands und Polens.  Alles in allem so schließt Karliczek, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die heute Gastgeberin ist, sei der Klimawandel um Merkel zu zitieren „eine Menschheitsherausforderung“.

Dann spricht die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Ihr Ressort ist dasjenige vom dem der große Wurf zum Klimaschutz erwartet wurde. Svenja Schulze sagt: „Das Bewusstsein ist da, dass wir ehrgeiziger werden müssen.“ Nächster Satz: „Wir sind in der Pflicht als reiche Industrienation im Klimaschutz voranzugehen und Vorbild zu sein.“ Deswegen hätten sie auch am 20.9.2019 das Eckpunktepapier zum Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen. Hier spricht eine Bundesministerin als hätte sie gerade ein Programm vorgelegt, dass der dringlichen, wenn nicht alarmierenden Situation durch den Klimawandel gerecht werde. Aber das sehen die meisten Wissenschaftler ganz anders.

Dann schauen wir uns das Klimapaket genauer an. Kernstück ist die Einführung eines Preises für den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid für die Bereiche Wärme und Verkehr. Denn die waren bisher preislich nicht erfasst, die großen Energieunternehmen und die energieintensive Industrie schon – durch den europäischen Zertifikatehandel. Ein Preis auf den Ausstoß des Treibhausgases CO2 macht generell Sinn. Eine Handlung, die Schäden für die Allgemeinheit verursacht, muss, wenn nicht verboten, so doch wenigstens mit einem hohen Preis versehen werden, damit der Anreiz besteht, die Kosten und damit diese Handlung zu vermeiden. Der Preis für den Ausstoß von einer Tonne CO2 im Bereich Verkehr und Wärme soll ab dem Jahr 2021 mit 10 Euro eingeführt werden. Der Preis wird mit einem Zertifikatehandel eingeführt und die Preise sind für die ersten fünf Jahre schon festgesetzt. Vom ersten Jahr 2021 steigt der Preis dann pro Jahr um jeweils 5 Euro an, um dann bei 35 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2025 zu landen. Ab dem Jahr 2026 werden die Zertifikate dann frei im System des Emissionshandels gehandelt. Das heißt, ab dann gibt es keinen Festpreis mehr, sondern nur noch einen Mindestpreis (35 Euro pro Tonne CO2) und einen Höchstpreis (60 Euro pro Tonne CO2). Wo der Preis sich einpendelt soll Angebot und Nachfrage entscheiden.  

Die führenden Klimaforscher in Deutschland haben dieses Eckpunktepapier heftig kritisiert. So erklärte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Ottmar Edenhofer am gleichen Tag: „Mit dieser Entscheidung wird die Bundesregierung die selbstgesteckten Klima-Ziele für 2030 nicht erreichen.“ Das Klimapaket entfalte nicht die notwenige Lenkungswirkung für die Wirtschaft und die Bürger, um wirklich zu einer Reduktion der Emissionen, der Ausstöße von Kohlenstoffdioxid zu kommen. Grund: Der Einstiegspreis von 35 Euro in einem nationalen Zertifikatehandel sei viel zu niedrig. Notwendig sei ein Preis von 50 Euro pro Tonne, der in den nächsten fünf Jahren auf 130 Euro ansteigen müsse.

Der Umstand, dass von höheren Preisen auf Diesel, Benzin und Heizöl vor allem einkommensschwache Haushalte betroffen sind, ist allgemein anerkannt. Daher hat die Bundesregierung flankierend dazu Maßnahmen beschlossen, um die Mehrkosten für die Bürger auszugleichen – wenn sie sich denn umweltverträglich verhalten. So soll Bahn fahren günstiger werden, fliegen teurer, Pendler bekommen eine höhere Pendlerpauschale und für den Kauf eines Elektroautos gibt es eine Prämie.

Sozialverträglicher Klimaschutz ist auch das, was die Wissenschaftler in den Forschungsinstituten fordern und dazu Vorschläge präsentiert haben. Ein Vorschlag war etwa eine Klimaprämie von 100 Euro pro Kopf und Jahr sowie eine Senkung der Stromsteuer. Einiges hat die Bundesregierung übernommen, etwa die Senkung der Stromkosten durch das Abschmelzen der EEG-Umlage. Allerdings plädierten die Wissenschaftler in einer Studie der Agora Energiewende mit dem Ökoinstitut Freiburg und der Freien Universität Berlin dafür, den Preis über eine Steuer und nicht über einen Zertifikatehandel einzuführen. Ihre Argumente: Ein Zertifikatehandel sei zu bürokratisch, es müssten viele zusätzliche Überwachungsregeln geschaffen und Daten neu erhoben werden. Eine CO2-Steuer sei hingegen schneller und unkomplizierter umzusetzen, etwa noch zum nächsten Jahr.

Wenn man bedenkt, dass jedes Jahr zählt und die Dringlichkeit der Maßnahmen immer wieder betont wird, sprechen die Argumente der Wissenschaftler eher für eine CO2-Steuer statt für einen Zertifikatehandel. Auf die Frage an Svenja Schulze was denn nun den Ausschlag für einen Zertifikatehandel gegeben habe, reagierte sie zunächst etwas ungehalten. Sie verstehe überhaupt nicht diese Aufregung um CO2-Steuer versus Zertifikatehandel. Beide seien wirkungsgleich. Das Wichtige sei schließlich, dass der Ausstoß von CO2 teurer wird und das wird er so oder so. Außerdem habe man auch an eine europaweite Angleichung denken müssen.

Wieso aber sagen die Wissenschaftler, dass eine Steuer kurzfristig effizienter ist? Wieso sagen sie, dass der Einstiegspreis von 10 bzw. 35 Euro viel zu niedrig sei, um eine Wirkung hin zu weniger Emissionen zu erzielen? Wenn wie die Bundesumweltministerin sagt, beide doch wirkungsgleich seien? Hat das Bundesumweltministerium die Argumente der Wissenschaftler vor dem Beschluss ausreichend geprüft? Wissen die Schüler von FridaysForFuture mehr als die zuständigen Ministerien, wenn die Schüler eine CO2-Steuer fordern und einen Einstiegspreis von 180 Euro pro Tonne CO2?

Bereits 2015 auf der Pariser Klimakonferenz erklärte der Generalsekretär der OECD, einer Organisation, die die Industriestaaten vertritt und berät, José Angel Gurria, dass eine CO2-Steuer einem Zertifikatehandel vorzuziehen sei. Einen Zertifikatehandel haben die europäischen Länder für die Bereiche Energie und energieintensive Industrie 2005 eingeführt, das heißt diesen Zertifikatehandel gibt es seit fast 15 Jahren. Seine Wirkung ist gelinde gesagt bescheiden. Zeitweise fiel der Preis für eine Tonne CO2 auf unter 6 Euro. Damit wird weder eine Lenkungswirkung noch sonst irgendein Signal in die Gesellschaft gesendet, um CO2-Ausstöße zu reduzieren. Tatsache ist auch, dass die Zertifikate nicht ausreichten, damit Deutschland seine Klimaziele für 2020 erreichen konnte – und das lag nicht nur am Verkehr, sondern auch an der zu geringen Emissionsreduzierung in den Bereichen Energie und Industrie, die schon vom europäischen Zertifikatesystem erfasst sind.

Die Antwort auf die Frage, was denn nun den Ausschlag für den Zertifikatehandel und gegen eine Steuerlösung gegeben habe, blieb die Bundesministerin Schulze schuldig. Ich zumindest habe die Antwort nicht verstanden. Wie denn auch – wenn sie sagt, es mache doch gar keinen Unterschied!

Den Satz von Mojib Latif, das Klimaschutzprogramm sei „die Sterbehilfe für das Weltklima“ hat sie aber heftig kritisiert. Den empfand sie als ungerecht. Es gäbe doch jetzt zum ersten Mal überhaupt einen CO2-Preis für die Bereiche Verkehr und Wärme, das müsse man doch auch einmal würdigen. Aber was ist, wenn die Wissenschaftler auch hier Recht behielten mit ihrer Kritik? Wie sie schon bei den Negativprognosen zum Klimawandel immer wieder bestätigt ja sogar von der Realität noch in der Dramatik der Ereignisse überboten werden! Was ist, wenn das Klimapaket völlig wirkungslos oder nur ein zahnloser Tiger ist?

Wie war das dann mit der Dringlichkeit und dem Satz, Deutschland müsse ehrgeiziger werden, Vorbild sein und vorangehen?